Aber Oma hat es erlaubt!

Hallo liebe Wolke,
kennst du Diktatoren?
Du musst dir das in etwa so vorstellen:

»Opaaa! Und jetzt mach deinen Mund auf!«
»Jawohl, Frau Doktor!«

Die Mandeln sind ohne Befund.
Opa würgt, aber hält sich tapfer.

»Opa! Jetzt muss ich noch Fieber messen.«, das Spielzeugthermometer steckt bis zum Anschlag im Gehörgang, »Oh, die Temperatur ist sehr hoch, du brauchst Medizin!«

Während Opa an der Milchflasche der Babypuppe nuckeln muss, wird sein Schienbein mit dem Hämmerchen bearbeitet, um den Patellarreflex zu testen: »Danke, Frau Doktor, mir geht es schon viel besser!«

»So, Opa. Jetzt muss ich noch schauen, ob Du Läuse hast…. OPA! Du hast doch keine Haare! Das macht keinen Spaß.«

Großeltern sind großartig.

Vor allem als Alleinerziehende ist man wirklich dankbar, dass man sie hat.
Unbezahlbar.

Wenn man allerdings ein kleines Leben hat, das per se schon zur Schreckensherrschaft neigt und die Macht an sich reißen will, indem es einen ständig beäugt und nichts durchgehen lässt (»Mamaaa! Zieh die Schuhe im Flur aus, sonst wird alles schmutzig!«, »Mamaaaa, komm sofort auf den Bürgersteig!!!«), dann fördert ein Nachmittag bei den Großeltern nicht unbedingt die friedliche Rückeroberung der Kontrolle.

»Oma! Trinken!«, befiehlt die kleine Generalin, wenn sie auf Omas Sofa-Kissenberg thront.
»Das heißt: Bitte, Oma, kann ich etwas zu trinken haben?«, versuche ich als Kofi Annan zu intervenieren.
Aber Oma reicht bereits das bis zum Anschlag mit Apfelsaft gefüllte Glas an die Oberbefehlshaberin weiter.

Selbstverständlich gelten bei Oma und Opa andere Gesetze, das tun sie immer in diesem Land, wo Milch und Honig fließen, und alle Erziehungsratgeber öffentlich verbrannt werden.

Konsequenz? Nie gehört.

Ich kann mich ja schon glücklich schätzen, wenn mir ein leises „Hallo“ entgegen gebracht wird, während man den kleinen Enkelschatz zur Begrüßung knuddelt bis ihm die Luft wegbleibt, ihn mit Schokoladenregen und Konfettibomben im ‚Haus ohne Regeln‘ Willkommen heißt und ihm jeden Wunsch, unter allen Umständen, erfüllt.

»Oma? Ich gehe jetzt in Dein Bett!«, erklärt das kleine Leben.
»Wir wollen jetzt gehen!«, krächze ich verzweifelt.
»Ach, lass sie doch!«, sagt Oma und besteigt mit ihrem geliebten ‚Mausezahn‘ und ihrer Schleimbeutelentzündung in der linken Hüfte die erste Etage zum großelterlichen Schlafgemach, als wäre sie Reinhold Messner in seinen besten Jahren.
Schwuppdiwupp, hört man beide, wie sie in Omas Bett die nächste Trampolinnummer für den Cirque de Soleil einstudieren.

Es ist 19 Uhr.
Das Sandmännchen ruft. Ganz laut.

Opa sitzt mit mir auf dem Sofa und verdreht die Augen. Hoffentlich bleibt das Bett ganz. Außerdem hat er Hunger.
Wenigstens einer, der mich versteht.

Als Oma und Mausezahn puppenlustig und hellwach und fertig mit Toben wieder im Wohnzimmer erscheinen, ertönt der nächste Appell:
»Opa, Mama! Steht auf, es gibt Abendbrot! Ihr dürft nicht auf dem Sofa essen!«

»Wir gehen jetzt ganz schnell nach Hause!«, bestimme ich und ziehe meine Schuhe an.

»Ooooch, ich hab’s der Kleinen versprochen, dass ich noch ein paar Nudeln koche! Geht auch ganz schnell!«, antwortet Oma.

»Jaaaha! Oma hat es versprochen! Mama, Versprechen darf man nicht brechen!«, plärrt mich mein kleines Leben an.

Aber Oma hat es erlaubt!

Ich werde wahnsinnig.

Als wir um 20.30 Uhr das ‚Haus ohne Regeln‘ verlassen und mein kleines Leben der festen Überzeugung ist, nun endgültig die Weltherrschaft an sich gerissen zu haben, auf Opas Schultern zum Auto getragen wird und Omas neues Kuscheltier in der Hand hält, bin ich einigermaßen genervt.
Dass es mir, verdammt noch mal, so unglaublich an Durchsetzungsvermögen mangelt.
Note: unbefriedigend.

Opa hat sich tapfer gehalten. Wie immer.
Er lässt sich die Müdigkeit nicht anmerken, aber seine alten Augen sprechen eine andere Sprache.

»Du bist mein Opa.« verabschiedet sich mein kleines Leben, »Und ich liebe dich über alles!«

Mein Papa weint heimlich vor Rührung, weil Eltern sehr gut heimlich weinen können.
Und ich denke:
»Du bist mein Papa. Und ich liebe dich über alles.«, und das weiß er, als sich unsere Blicke begegnen.

Um 21.30 Uhr liegt mein kleiner Herzens-Diktator im Bett und lächelt beim Einschlafen.

Weißt du, liebe Wolke, ich rege mich manchmal über alles Mögliche auf, denn das Leben ist nun mal leider kein Schlaraffenland, man muss viele Dinge lernen und das kleine Leben und ihre Großeltern treiben mich hin und wieder zur Weißglut. Aber abgesehen von meinen grauen Haaren, ist diese Art von Liebe das Beste, was einem passieren kann.

Bis bald, liebe Wolke!


 

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