Die Götter hassen mich. (Oder: She works hard for the money)

Hallo liebe Wolke,
wie geht’s dir so?
Eine Woche liegt nun hinter mir, von der ich bereits am Montagmorgen dachte, ich würde sie wahrscheinlich nicht überleben. Nun gut, man darf sich irren, es ist Freitagabend, ich lebe noch. Noch.

Montag, 5.30 Uhr

Mein Wecker klingelt und es kommt mir vor, als würde mich eine Fanfare aus dem Bett scheuchen. Dass ich häufig unsanft geweckt werde, ist ja nun nichts Neues, aber ich hatte die Handylautstärke bis zum Anschlag aufgedreht, volle Pulle, damit ich auch ja nicht verschlafe. Es war schließlich mein erster Arbeitstag.
Von Herzrasen benommen torkle ich ins Bad, sehe eine Neuauflage von „Der Herr der Ringe“ im Spiegel (und ich meine NICHT die Elben!), und suche krampfhaft den Concealer, mit dem ich mir beinahe die Zähne geputzt hätte.
Und während ich versuche das zu retten, was eventuell noch zu retten ist, steigt mir ein Geruch in die Nase. „Was, zum Teufel, ist das?“, denke ich und schaue unter das Waschbecken. Schaue in die Badewanne. Schaue ins Klo. Der Ork findet nichts außer drei Haarspangen und einer Wollmaus.
„Kommt bestimmt von draußen“, murmle ich, muss niesen und die Wimperntusche sitzt nun auf meiner Wange. Statt auf den Wimpern.

Gurke und Fleischwurst

Der Ork verschwindet nicht, ich laufe mit ihm in die Küche und koche mir einen Kaffee. In fünf Minuten muss ich mein kleines Leben wecken, die heute schläft wie ein Engel. Warum sie es in den letzten vier Jahren nicht konnte, bleibt ein unlösbares Rätsel. Wie schaffen Kinder es, immer dann zu schlafen, wenn sie es nicht sollen? Und umgekehrt. Über dieses Phänomen schreibt ja niemand Schlaues in ihren Besserwisserratgebern. Niemand.
Als ich die Tür zum Kinderzimmer öffne, wird mir schlagartig klar, woher der undefinierbare Geruch kam.
Mein kleines Leben liegt am äußersten Bettrand. Neben ihr liegen ihr Hase Benny Bunny, der Grüffelo und eine Pfütze des halbverdauten Abendessen von gestern. Gurke und Fleischwurst.
Ich wecke sie.
„Mausi, du hast gebrochen!“
„Ja, Mama, mir war schlecht.“
„Warum hast du mich denn nicht geweckt?“
„Tschuldige, Mama, ich hab’s vergessen.“
„Geht’s dir denn jetzt besser?“
„Ja.“, sagt sie, schwingt sich aus dem Bett mit der Leichtigkeit eines Schmetterlings, rast ins Wohnzimmer und verlangt nach Kikaninchen und Frühstück. Und Schokolade.

Ich. Will. Nicht.

Ich verbringe endlose Minuten im Bad mit Gurke und Fleischwurst und meinem Würgereflex. Die Bettwäsche schmeiße ich in die Waschmaschine und stelle auf 90°.

„Mama, kann ich bitte Schokolade haben?“
Dass meine Antwort schon dreimal NEIN war, interessiert nicht, mein Appetit auf Frühstück hat sich erledigt, ich suche nach dem Zwieback und koche einen Fencheltee.
„Mama, das ist aber keine Schokolade!“, die Zeit rennt mir davon, ich schmiere mir zumindest ein Brot, mein Kaffee ist bereits kalt.

„Wir müssen uns jetzt anziehen!“, sage ich und suche die Schuhe meines kleinen Lebens, die ich gestern doch genau neben die Haustür gestellt hatte.
„Wo gehen wir denn hin? Ich bin noch nicht fertig! Der kleine blaue Elefant hat gerade erst angefangen!“, raunt es vom Sofa.
„Schatz, wir gehen jetzt in den Kindergarten – und ich zur Arbeit, das habe ich Dir doch schon erzählt.“

„Ich. Gehe. Nie. Wieder. In. Den. Kindergarten!“, schreit meine Tochter als ich sie unter dem Bett an den Füßen herausziehe.
Sie schreit es auch noch im Auto. Vor dem Kindergarten. Und im Kindergarten.

Grüner Tee

Als ich ihr endlich die Pantoffeln angezogen und sie in den Gruppenraum gezerrt habe, klammert sie sich mit beiden Armen an mein Bein und brüllt: „Ich vermisse dich, geh nicht, du darfst nicht arbeiten gehen. Dann bin ich ganz allein. Bitte geh nicht!“

Durch die gläserne Eingangstür werfe ich ihr noch tausend Küsse zu, drehe mich um, höre sie noch weinen und renne zum Auto. Es ist viel zu spät, der Ork schaut mich im Rückspiegel an, ich tippe auf mein Navigationsgerät und rase durch den frühen Morgen. Der auslaufsichere Thermosbecher tröpfelt den grünen Tee in meine Handtasche. Aber das würde ich erst später bemerken.

Ich störe immer!

Erst als ich mich auf meinen neuen Bürostuhl gesetzt habe, versuche ich schockiert zu erkennen, ob ich womöglich nach Gurke und Fleischwurst rieche. Beim Öffnen der Post schneide ich mir fast die linke Hand ab. Während ich telefoniere und ich nicht den blassesten Schimmer einer Ahnung habe, ob der verlangte Kollege im Urlaub, krank oder bloß auf dem Klo sitzt, der gerade nicht zu erreichen ist, öffnet die Putzfrau mit osteuropäischem Akzent die Bürotür und sagt ungefähr zwanzig Mal: „Ich störe immer! Ich störe immer!“
Ich sage ungefähr zwanzig Mal zurück: „Nein, Sie stören nicht!“ und dann gebe ich es auf, weil das Telefon wieder klingelt. Nachdem ich aufgelegt habe, schließt sie den Staubsauger an und entschuldigt sich wieder für die Störung. Naahaaain, sie stört nicht. Ich würde sie gern mit nach Hause nehmen, denke ich, denn da dürfte auch mal wieder aufgeräumt werden. Insbesondere nach heute früh.

Die Götter hassen mich

Um 3 knurrt mein Magen, um 4 bin ich wieder im Kindergarten. Um Viertel nach Vier schließe ich die Haustür auf und erkenne, dass meine Eltern zum Aufräumen da waren. Ungeplant. Ungebeten.
„Bei dir sieht es ja unterirdisch aus und die Wäsche darfst du nicht tagelang in der Waschmaschine lassen! Gruß!“, steht auf einem Zettel in der Küche. Seitdem habe ich von meinen Eltern nichts mehr gehört.
Die Götter hassen mich und in meinem Spiegel hat sich mittlerweile eine ganze Horde Orks versammelt.

Working Mom

Wenigstens mein kleines Leben hat zu ihren alten Schlafgewohnheiten wiedergefunden. Um 22 Uhr liegt sie im frisch bezogenen Bett und schläft. Ich esse ein Toastbrot mit Käse und ziehe in Gedanken den Hut vor allen arbeitenden Müttern dieser Erde.

Mal schauen, liebe Wolke, wie es uns allen nächste Woche so geht.
Bis dahin wünsche ich dir einen guten Flug und ein schönes Wochenende…!


 

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