Früher hätte es das nicht gegeben Attachment parenting bedürfnisorientierte Erziehung Mamasein Mamablog Susanne Bohne

Früher hätte es das nicht gegeben! (Oder: Mutter Courage)

Hallo liebe Wolke,
gestatten?
Das auf dem Foto, die drollige Dame mit dem extravaganten Hut, das ist meine Ur-Großtante Auguste. Das Bild muss irgendwann in den 1920er Jahren entstanden sein, so genau weiß ich es nicht, und Auguste kann leider niemand mehr fragen, aber wenn (!), dann würde Auguste sicher sagen, dass früher alles anders und besser war – und: „Früher hätte es DAS nicht gegeben!“.
Wobei man für das „DAS“ jedes beliebige Substantiv oder Verb einsetzen kann, das einem so in den Sinn kommt. Jedenfalls, was die Kindererziehung angeht.

Drollig

Als Auguste, die Drollige, mit ihrem Topfhut und dem Kinderwagen, der für mich wie eine Mischung aus Kutsche und Schubkarre aussieht, durch die Straßen flanierte, da dachte sie über andere Dinge nach als wir es heute tun. Klar, ist ja auch schon hundert Jahre her. Vermutlich war einiges damals völlig normal; Kinder haben und Mutter sein. Zum Beispiel. Heute ist das Mama sein auch nichts Unnormales, aber es ist ein ziemlich großes Event, über das meine Ur-Großtante wahrscheinlich ungläubig den Kopf geschüttelt hätte.

Früher hätte es das nicht gegeben!

Auguste band sich damals ihr kleines Halstüchlein um, rumpelte mit dem Schubkarrenkinderwagen das Trottoir entlang und machte sicher nicht im nächsten Discounter halt, um ihren kleinen Sonnenschein liebevoll davon zu überzeugen, dass es nicht den Joghurt mit Elsa-Aufdruck geben würde. Dafür aber einen der anderen 3.927 Sorten, vor denen ich manchmal wie der Ochs vorm Kühlregal stehe und mich nicht entscheiden kann. Bei Auguste gab’s eventuell mal einen selbstgemachten Joghurt, den sie allerdings nicht so anrichtete, dass sie ihn später bei Pinterest oder Facebook oder Instagram oder in die WhatsApp-Krabbelgruppen-Gruppe hätte posten können. Und es wurde gegessen, was auf den Tisch kam. Fertig.

Attachment Parenting

Wenn das Geschrei und Gezeter ihrer Kinder mal zu groß wurde, dann gab es eins hinter die Ohren. Ende der Diskussion. Bei dem Begriff „attachment parenting“ hätte Auguste sich wahrscheinlich bis zur Ohnmacht gelacht – und man hätte ihr Riechsalz gereicht, um sich wieder zu beruhigen. „Working Moms mit Mental Load“ waren sowieso alle, denn Mutter zu sein, das war damals ein Job, der mit mehr Arbeit verbunden gewesen ist als heute. So rein physisch gesehen. Stichwort: Waschmaschine. Und Selbstverwirklichung; gab es den Begriff damals schon? Ich glaube nicht.

Ich weiß nicht, wovon Auguste in ihrem Leben geträumt hatte, was sie statt der Kinder und Hausfrau gern hätte haben oder sein wollen – vielleicht irgendwas mit Mode. Vermute ich. Aber das würde für Auguste ein kleiner, stiller Gedanke bleiben, von dem sie abends beim Einschlafen kurz träumen konnte. Ihr Weg war vorherbestimmt und es könnte sein, dass sie ihn nicht immer toll fand, aber tapfer, das war Auguste ganz bestimmt und sie liebte ihre Kinder nicht weniger als die heutigen Mütter ihre Kinder lieben.

Und alleinerziehend waren damals übrigens eine Menge, deren Männer sich für alle Zeiten in den Krieg verabschiedet hatten. Oder noch verabschieden würden. Und Augustes Generation war dann nicht nur mit einem Kind, sondern mit 7 bis 15 Kindern allein. Ohne Jobcenter und Sozialamt. By the way.
Topfhut ab!

SUPER MOM!

Ich frage mich, ob Tante Auguste damals andere Mütter traf und sie sich, in Ermangelung sozialer Medien, über den Gartenzaun hinweg gegenseitig Mut zusprachen: „Hey, Hermine, du bist eine fabelhafte Mutter! Glaub an dich! Du bist mutig und stark! Gib nicht auf! Du bist die Super Mom, yeah!
High Five.
Lustige Vorstellung, oder?
Es tut gut, mit seinen Gedanken, Ängsten und Zweifeln nicht allein zu sein – und deswegen ist es schon toll, wenn man von anderen liest, dass sie ähnliche Gedanken haben. Mama sein ist eben ein ziemlich harter Job. Damals wie heute.

Herzen ändern sich nicht.

Wir leben heute in einer völlig anderen Zeit mit völlig anderen Problemen und Herausforderungen als damals. Aber als ich mir Augustes Foto so ansah, da dachte ich mir: Herzen ändern sich nicht. Das, was Auguste für ihre Kinder empfunden hat, das fühle ich für mein kleines Leben auch. Und aus diesem tiefsten Gefühl heraus entstehen auch die Zweifel, ob man gut genug all das macht, was man eben als Mutter so macht. Ich glaube, dass es Auguste damals nicht bewusst war, wie wichtig ihr Job so ist. Denn es war normal – und für eine Frau gab es keinen anderen Weg. Meistens jedenfalls nicht.

Wir sind Mütter.

Sie hat daraus allerdings kein Mega-Event gemacht, so wie wir es heute tun. Ob das gut oder schlecht ist, das kann ich nicht sagen. Und es gibt einiges, das ich nicht in die heutige Zeit beamen wollen würde. Nur manchmal, ja, manchmal, da wäre es gut, wenn wir Mütter uns nicht mit und wegen allem verrückt machen lassen würden. Wenn wir einfach mal den Topfhut aufsetzen und mit geradem Rücken über den Bürgersteig flanieren, um zu wissen: Wir sind Mütter!

Wir brauchen keinen Mut, um das zu sein. Wir brauchen auch nicht das Motiv T-Shirt: „Ich, Super Mom!“ Denn das einzige, das wir brauchen, meine Wolke, das ist: Die Liebe in unseren Herzen für unsere Kinder, die einfach so da ist. Die gibt es gratis. Heute wie damals. Und wenn man die Liebe in sich spürt, dann ist man mutig und stark, allen Zweifeln am Ende des Tages erhaben – und man weiß, es geht immer weiter. Oder zumindest ahnt man es.

Liebe macht Mut.

Früher hätte es eine Menge nicht gegeben. Heute hingegen gibt es so viel, dass man manchmal leicht überfordert sein kann. Zumindest bin ich es ab und zu. Der goldene Mittelweg wäre wohl, mal wieder, nicht schlecht. So ist das oft im Leben, und wenn ich mir Auguste anschaue, dann weiß ich, dass es hin und wieder nicht so schlecht ist, nostalgisch zu werden und zu wissen: Liebe macht Mut.

Hab einen schönen Tag, meine Wolke!


 

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