Ich lass los ein bisschen

Ich lass‘ los. Ein bisschen.

Hallo liebe Wolke,
wie alt bist du eigentlich? Hab ich dich das schon mal gefragt oder ist das unhöflich?
Bis ich ungefähr 20 war, habe ich auf diese Frage selten mit der richtigen Zahl geantwortet. Meistens sagte ich: „Bald 16!“
Einfach, weil 16 tausendmal cooler war als 15.
Und 18 erstmal! Erwachsen! End geil!, wie man damals so gesagt hat, in den 90ern.
Kchrkchrkchr, das ist urkomisch. Denn erwachsen, das bin ich heute, zwanzig Jahre später, immer noch nicht. Auch, wenn „Take That“ mittlerweile Herren nahe der 50 sind und Kurt Cobain seit fast 25 Jahren tot ist. Krass.
Manche Dinge, die muss man im Leben wohl los lassen. Selbst Robbie Williams oder den guten, alten Kurt: „Let it go, ich lass‘ los“, singt ja nicht nur Elsa.

Auf Wiedersehen!

Meine Tochter ruft morgens um 4 nach mir. Die bösen Träume haben sie wieder eingeholt: „Mama? Kannst du mich beschützen?“
Ich falte mich schlaftrunken unter ihre Decke und wickle meine Arme um sie. Sie trägt ihren Schlafanzug mit dem Elsa-Aufdruck. Elsa, die starke Eiskönigin. So möchte meine Tochter auch sein. Stark, mit magischen Kräften, unbezwingbar – und groß. Und ich merke, wie sie sich verändert hat in den letzten Monaten. Die Nächte, in denen sie ihre bösen Geister nicht allein verjagen kann, sie werden weniger. In ein paar Wochen wird mein kleines Leben fünf Jahre alt. Und es wird wieder einmal Zeit, einem Lebensabschnitt „Auf Wiedersehen“ zu sagen. Nicht nur einer Zahl. Ich merke es deutlich.

Meilensteine

„Ich will aber nicht 5 werden, sondern schon älter!“, sagt meine Tochter und ist enttäuscht, dass es dieses Mal nur fünf Kerzen auf dem Kuchen geben wird. Ich verstehe das, denn ich wollte ja auch immer älter sein. Mehr können. Mehr wissen. Mehr allein machen. Cooler sein. Und größer.
Andererseits treibt es mir die Tränen in die Augen. Und ich war und bin aber trotzdem froh über jeden Meilenstein, den wir geschafft haben. Ich bin froh darüber, dass wir beide – und vor allem sie – so viel gelernt haben und irgendwann so groß geworden sind, dass ich es gar nicht wirklich bemerkt habe. Ja, wir beide sind groß geworden. Was nicht „erwachsen“ bedeutet. Für uns beide nicht.

Mehr.

„Fünf zu sein ist klasse!“, antworte ich. „Das ist ein super Alter, du wirst schon sehen. Und die Sechs kann ruhig noch ein bisschen auf dich warten!“
Jeden Tag wächst sie ein bisschen mehr. Jeden Tag wird ihr Rucksack an Fähigkeiten größer und ihr Horizont weiter. Meine Tochter kann einige einfache Worte lesen – und mit jedem Buch, das wir gemeinsam auf unserem roten Sofa anschauen, während wir unter einer Wolldecke lachen und manchmal ziemlich albern sind, wird ihr Blick klarer für die Zusammenhänge. Sie weiß, dass sie mich bald nicht mehr zum Lesen brauchen wird. Wie für einige, viele, Dinge schon nicht mehr. Plötzlich wird ihr bewusster, dass alles, auch ohne mich, möglich sein wird. Und mir auch.

Mit fünf.

Mit fünf sitzt man mittendrin im Abenteuer, das ein bisschen wie eine Traumachterbahn ist. Man wird langsamer, man fährt rauf, man saust den Berg hinab und lässt los, man ackert sich an einer Steigung ab und erreicht nicht immer die Spitze; was einen manchmal ziemlich sauer machen kann. Man kann mit fünf seine Gefühle ab und zu nicht kontrollieren, aber das schafft man auch dreißig Jahre später nicht immer.

Mit fünf kann man seine Puzzle lösen und Häuser malen und Regenbögen, kennt Buchstaben und Zahlen. Man weiß, dass man sein eigener Mensch ist. Dass man ein Ich ist. Mit fünf weiß man außerdem, dass man Gemüse nicht mag und dass man davon überzeugt ist, nie und nimmer welches zu essen. Und man ist überzeugt, dass man eigentlich auch ganz gut alleine zurecht kommt. Weil man Tierärztin und Seiltänzerin und Prinzessin werden wird. Alles zusammen. Das schafft man schon. Denn man ist ja schon groß.

Mit fast fünf bittet man Mama um acht Gutenachtküsse und zählt sie mit. Und im Kindergarten wird der eine, magere Abschiedskuss schnell abgewischt. Ein Baby ist man mit fast Fünf ja nun nicht mehr. Und der Reißverschluss und die Schleifen werden sich eines Tages auch noch ergeben. Manchmal muss man sie einfach anbrüllen. Das wäre ja gelacht!

Mit vier geht man mit dem Elsa-Schlafanzug ins Bett und ruft nach Mama, wenn die bösen Träume kommen. Weil man manchmal doch noch nicht so stark und unbezwingbar wie eine Eiskönigin ist.

Ich bin frei.

Also halte ich mein kleines Leben im Arm, während ich unter der Decke zusammengefaltet liege und mich ihre Locken so sehr an der Nase kitzeln, dass es kribbelt. Ich höre ihrem leisen Atmen zu, wenn sie einschläft und plötzlich ist sie wieder klein. Und doch sehr groß.

Ja, das Fünfwerden ist schon super, denke ich mir dann. Es gibt anstrengende Tage und es gibt die Tage, an denen mein kleines Leben mit ihrem eigenen Achterbahnwaggon vor mir den Berg runtersaust und ich ihre eigene Freiheit erkennen kann. Gut macht sie das, ich bin stolz auf sie, auch wenn ich sie am liebsten manchmal bremsen wollen würde. 

Ich lass‘ los. Ein bisschen.

Und ich, ich nehme mir vor, nicht zurückzuschauen, sondern das, was vor uns liegen mag, in Empfang zu nehmen. Ich schaue auf die Loopings, die im Bauch kitzeln, auf das Lachen, auf die wunderbaren Überraschungen, die es bei jeder Achterbahnfahrt zu erleben gibt. Ich trete nicht auf die Bremse, meine liebe Wolke, denn alles hat seine Zeit. Und Erwachsensein, das muss man eigentlich gar nicht so wirklich. Nur groß werden. Aber das geht fast von allein.
Voll krass.

Einen guten Flug, meine Wolke!


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