Ich verabschiede mich

Ich verabschiede mich.

Hallo liebe Wolke,
muss man mal „Auf Wiedersehen“ sagen?
Es gibt im Leben Momente, da muss man sich verabschieden. Abschiede fallen mir nicht leicht, das taten sie nie. Auch wenn ich – ein vielleicht etwas hinkendes Beispiel – froh war, als mein kleines Leben endlich keine Windeln mehr brauchte, so vermisse ich das Wickeln eines klitzekleinen Minilebens schon. Hin und wieder.
Manche Menschen werde ich in meinem Leben nicht mehr wiedersehen, weil sie gegangen sind, weil ich gegangen bin, weil die Menschen gestorben oder sonstwie abhanden gekommen sind. Bei einigen ist das mit dem Nichtmehrwiedersehen nicht so schlimm, bei anderen schon. Aber ich, ich verabschiede mich heute.

Schrecklich.

In ein paar Tagen werde ich Vierzig. Ist das nicht schrecklich? Ist das nicht schlimm?
Ich weiß nicht.
Schon seit immer halte ich nicht so viel von Zahlen. Und von Jahresaltersangabenzahlen auch nicht. Weil: Es kann doch nicht angehen, dass mir mein Alter vorzuschreiben hat, wie alt (oder wie jung) ich mich nicht nur fühle, sondern bin. Schließlich bin ich erwachsen – oder tue zumindest so – und das gute am Erwachsensein ist ja bekanntlich, dass ich mir meine Regeln selbst machen darf.

Gut, es ist schon manchmal blöde, wenn man mit Vierzig immer noch nicht weiß, wohin die Reise geht. Das haben andere ja längst hinter sich. Ich nicht. Ich probiere immer noch herum und habe viel öfter keinen Plan, als mir lieb ist. Mittlerweile weiß ich aber etwas besser, was ich kann und wer ich bin als mit Dreißig. Das ist ja immerhin schon eine gute Entwicklung, die hoffen lässt.

Leb Wohl

Also verabschiede ich mich dieser Tage von der Drei. In den letzten zehn Jahren ist doch reichlich passiert, stelle ich fest. Das muss wohl so, egal wie alt man ist. Die Drei startete damals einigermaßen kurios, denn an meinem dreißigsten Geburtstag schenkte man mir eine Fahrt nach Oslo. Was soll jetzt daran kurios sein?, darf man sich gerne fragen.

„Mensch, schenken wir doch der Susanne eine Fährfahrt nach Norwegen! Da wird sie sich aber total drüber freuen!“, hatten sich meine Familie und Freunde wohl so überlegt.
Für jemanden, der zum damaligen Zeitpunkt noch nicht mal mehr allein zum Briefkasten gehen konnte, ohne mittelschwere Panikattacke, war das nicht so ne ganz gute Überlegung. Aufgrund einer akuten Angststörung, die ich liebevoll „Marnie“ nannte, konnte ich diese Fahrt nicht antreten. Hätte man vorher wissen können. War aber trotzdem süß, das.
Heute allerdings würde ich ohne zu zögern, nach Oslo schippern; so ändert sich alles.
Immer.

Entdecken

Kurze Zeit später verlor ich meine, bis dahin, große Liebe, unser Haus und unseren Hund – und fand dadurch wieder zum Schreiben. Ist ja auch was wert, und das Leben besteht nicht immer nur aus Verlieren, sondern vor allem aus Entdecken. Und Lernen. Und Fehler machen.

Mit 34 entdeckte ich geschockt, dass ich schwanger war. Und, rückblickend gesehen, war das der beste Schock meines Lebens.
Mit 37 entdeckte ich, dass ich doch nicht nur noch (ausschließlich) Mama war. So im Herzen. Sondern auch noch Frau. Und als ich zu meinem neununddreißigsten Geburtstag, letztes Jahr, einen halben Apfelkuchen geschenkt bekam, da machte ich die Entdeckung, dass Menschen Arschlöcher sein können. Obwohl ich eigentlich immer an was anderes geglaubt hatte.
Dagegen war die Oslofährfahrt doch wirklich ein Segen gewesen, den ich leider nie in Empfang genommen habe. Aber: Ich werde ja erst Vierzig. Kann ich ja immer noch machen.

Das kleine Ich bin Ich.

Es geht eben nicht darum, dass man sich sagt: „In meinem Alter müsste ich aber schon…“ oder „Dafür bin ich zu alt…“ oder sich sonst irgendeinen schlauen Spruch aus der Mottenkiste zieht.

Manchmal schaue ich schon mit einem weinenden Auge auf die Zeiten zurück, die so ganz unbeschwert waren und voller Abenteuer, die ich einfach so eingehen konnte, weil ich ja nur für mich Verantwortung trug. Heute ist das anders. Aber ich bin trotzdem immer noch ich. Ich bin immer noch die, die ich mit zwanzig war. Oder mit dreißig. Nur eben ein bisschen differenzierter. Ein bisschen mehr geschliffen. Ich weiß ein bisschen mehr von dieser Welt, von mir, und über andere. Das ist etwas ziemlich Gutes, finde ich.

Keine Geschenke.

Dieses Jahr werde ich wahrscheinlich nichts zum Geburtstag geschenkt bekommen, weil man es mir ja weder mit einer Fahrt nach Oslo, noch mit einem halben Apfelkuchen recht machen kann. Ich bin wirklich anstrengend, manchmal. Viel ist von der Familie und den Freunden an meinem dreißigsten Geburtstag nicht übrig geblieben. Das habe ich mir einerseits so ausgesucht, und andererseits ist das einfach so passiert. Mein Leben ist so geworden, wie es geworden ist. Das heißt allerdings noch lange, lange nicht, dass man stehenbleiben muss. Auch nicht mit Vierzig.

Ich verabschiede mich.

Auf Wiedersehen, du Drei. Ich fand dich nicht immer berauschend, und manchmal ganz wundervoll. Aber, ganz ehrlich, die Vier, die gefällt mir viel besser. Das weiß ich jetzt schon.

Manchmal muss man eben etwas loslassen, liebe Wolke, und man darf sich selbst loslassen. Auf das Leben. Egal, wie alt man wird. Denn Zahlen, die haben so ungefähr gar keine Bedeutung. Nur vielleicht ein bisschen.

Auf bald, meine Wolke!

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