Weil es sich wie Verliebtsein anfühlt, nur noch ein bisschen mehr.

Hallo liebe Wolke,
glaubst du an das Gute?
Im Kindergarten wird gerade renoviert, was bedeutet, dass sich sechzig Kinder auf den verbliebenen 30 Quadratmetern tummeln und man beim Betreten der Einrichtung eine ungefähre Vorstellung davon bekommt, wie es in einem Ameisenhaufen zugeht. Das findet niemand so richtig gut. Am allerwenigsten gut findet mein kleines Leben, dass sie nun ein Schwein ist: Auf ihrem neuen Kleiderhaken ist kein Puppenwagen mehr, sondern eben, ja, richtig, ein Schwein.
„Ich will kein Schwein sein!“; und damit ist die schlechte Laune am frühen Morgen gesichert.

Madita

Im Übrigen möchte mein kleines Leben von nun an „Madita“ genannt werden. Seitdem hier Astrid Lindgren eingezogen ist, und ich „Madita“ wenig erfolgreich davon überzeugen konnte, dass wir kein Totenkopfäffchen als Haustier halten können (und uns auch kein Pferd auf unseren Balkon stellen werden), dass aus einem Samenkorn keine Puppe wachsen wird (obwohl wir eins eingepflanzt haben, denn man weiß ja nie!) und dass es die Rumpelwichte nur im Mattiswald gibt, seitdem möchte meine Tochter wenigstens Madita heißen. Obwohl sie erst mit Lotta und Mirabell geliebäugelt hat.

Pfefferkuchenmann

Madita also liebt Geschichten. So wie wahrscheinlich jedes Kind, das vier Jahre alt ist. Es ist doch ganz schön erstaunlich, dass Kinder nicht die leiseste Regung zeigen, wenn die Hexe verbrannt wird, wenn Rumpelstilzchen sich in zwei Hälften reißt oder wenn sich die Königin zu Tode tanzen muss. Klar, sind ja auch alles Bösewichte, die bekommen ihre gerechte Strafe. Fertig.
Aber, wenn der Pfefferkuchenmann auf die List des Fuchses reinfällt und mit einem Happs in dessen Bauch landet, da ist das Geschrei groß.
„Naaaain, Mama! Er darf nicht aufgegessen werden!“
Also muss ich mir für Madita ein Happy End ausdenken, damit ich nicht die Seelsorger rufen muss. Aber: Ist das richtig?

Happy End?

Puh, ich stelle mir häufig diese Frage: Ist das jetzt in Ordnung? Müssen kleine Kinder da irgendwann durch, dass es eben nicht immer ein Happy End gibt? Dass auch mal das Schwein am Kleiderhaken hängt und alle sagen: Madita, das Schwein?
Ich bin ehrlich. Ich würde meine kleine Madita am liebsten vor allem Bösen beschützen und würde ihr noch lieber sagen, dass es immer, immer, immer ein glückliches Ende gibt – und dass Schweine die allerputzigsten Tiere der ganzen Welt sind.
Dass das nicht geht, das ist mir klar. Nur: Wann ist der richtige Zeitpunkt gekommen? Muss das wirklich sein, wenn wir hier gerade in einer Mischung aus Bullerbü und Takatuka-Land leben?

Verliebtsein

Manchmal, da kann ich mein inneres Kind (falls es das gibt, aber du weißt schon, was ich meine, liebe Wolke; den Teil in mir, der mein kleines Leben Madita so gut verstehen kann) noch sehr deutlich spüren. Und das wird wahrscheinlich für alle Zeiten irgendwo in der Krachmacherstraße oder in Lönneberga nach Abenteuern suchen. Die immer gut ausgehen.
Da werde ich immer so stark wie Pippi sein und daran glauben, dass es einen Limonadenbaum gibt.
Und ich weiß, dass meine Madita gerade an all das glaubt. Ganz fest.
So fest, dass es sich wie Verliebtsein anfühlt, nur noch ein bisschen mehr.

Solange

Und solange sie in roten Blättern Fische sieht, solange sie daran glaubt, dass das Gute stets gewinnen und das Böse seine Strafe bekommen wird, solange sie glaubt, dass die Engelchen backen, wenn sich der Himmel rosa färbt, solange sie daran glaubt, dass Elsa Eis zaubern und der Mond nachts auf alle Menschen aufpassen kann, solange werde ich ihr nicht alle Illusionen nehmen. Denn irgendwann wird sie den Glauben daran verlieren. Von selbst.

Blätterfische (c) Hallo liebe Wolke

Kleines Glück

Aber dann, ja dann hoffe ich, dass meine kleine Madita sich einen klitzekleinen Rest dieses Glaubens in ihrem Herzen bewahren kann. Weil man sich den immer dann anschauen kann, wenn man vergessen hat, dass man an all das einmal geglaubt hat. Dann wird sie wissen, dass es etwas gibt, das einen lächeln lässt, wenn man das Schwein am Kleiderhaken findet. Weil es eigentlich gar nicht so schlimm ist, wie man im ersten Moment vielleicht denkt. Und dass es in Ordnung ist, wenn es bei einer Geschichte kein Happy End gibt. Aber dafür möglicherweise bei der nächsten.
Und ganz vielleicht findet man ja irgendwo auf dieser Welt sein eigenes Bullerbü, sein kleines Glück, in das man sich getrost hineinlegen darf, die Augen für einen Moment schließt und weiß: Hier ist alles gut.

Die größten Schätze

Ja, liebe Wolke, so ist das mit dem Glauben an das Gute und den Illusionen, die ich meinem kleinen Leben jetzt nicht rauben werde. Na klar, ich habe die Aufgabe (und das ist keine einfache, das kann ich dir sagen!), meine Madita auf die Welt da draußen vorzubereiten. Ich darf nicht immer nur den Filter anknipsen und sagen, dass wir in einer Welt voller Elfen und Trolle und Liebe und Unbeschwertheit leben. Nur: Ein ganz und gar naives Herz, unermessliche Fantasie und das bedingungslose Glauben an das Gute, das sind wohl die größten Schätze, die ein kleines Kind haben kann. Und sie fühlen sich an wie Verliebtsein. Nur noch ein kleines Bisschen mehr.

Gute Grüße, meine Wolke!


 

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