Wie man das Selbstbewusstsein eines Kindes garantiert ruiniert

Wie man das Selbstbewusstsein eines Kindes garantiert ruiniert.

Hallo liebe Wolke,
gestern früh waren die Wolken so toll rosa, richtig?
Mein kleines Leben weckte mich extra so gegen 4.45 Uhr, damit mir der Anblick auch ja nicht entging.
„Mama, wach auf! Die Wolken sind ganz rosa. Die Engelchen backen! Ist heute Weihnachten? Mama?“
Meine Tochter ist wirklich oft Zucker. Meine Tochter könnte ich manchmal aber auch, für einen Moment, dahin wünschen wo der Pfeffer wächst. Der Unterschied bei Zucker und Pfeffer ist allerdings, dass ich das eine laut ausspreche und das andere nicht. Andere Menschen sehen das wohl anders, machen das anders, und überfahren dabei das kleine Pflänzchen, das sich Selbstbewusstsein nennt, und das bei einem Kind doch gerade erst zu wachsen beginnt.

Ich hab dich lieb!

Ich kann nicht mehr zählen, wie oft ich meinem kleinen Leben in den letzten Jahren „ich hab dich lieb!“gesagt habe – und es genau so meine. Das geht ganz von selbst, darüber muss ich nicht nachdenken und ich muss es mir auch nicht vornehmen. Da steht dieses kleine Mädchen mit großen Augen vor meinem Bett, und auch wenn ich morgens um Viertel vor Fünf noch gern ein kleines Weilchen schlafen wollen würde, durchflutet mich diese enorme Art von Liebe, die wohl die schönste ist, die ich kenne. Dann bin ich ganz gerührt von der kleinen Kinderseele, die an die backenden Engelchen glaubt, und wünschte uns beide an einen einsamen Ort wo wir diese Momente konservieren könnten. Aber vielleicht ist dieser Ort ja in unseren Herzen.
Und ich wünschte mir noch etwas, nämlich dass die Menschheit sich ein bisschen kindliche Naivität bewahren könnte. Vielleicht gäbe es dann ein paar weniger Spinner.

Ich bin genervt!

Es gibt aber auch diese Momente, die mögen ganz schnell vorbeigehen, weil ich genervt bin von den Trotzanfällen (die glücklicherweise weniger und kürzer werden), von dem wenigen Raum, der mir nur noch so wenig Platz für mich lässt, von dem Chaos, das meine Tochter in der gesamten Wohnung veranstaltet, usw. – manchmal bin ich wirklich genervt.
So wie ich ihr schon mindestens 3.987.109 Mal gesagt habe, dass ich sie liebe, oder ich mich mit ihr freue, dass sie so viele Dinge in ihrem kleinen Leben gelernt hat und gut macht – so sage ich auch, dass ich andere Dinge nicht gut finde, die sie macht.
Wie soll ein Kind denn sonst lernen?
Ich bin der Meinung, dass man eine Leitplanke im Leben braucht, an der man anstoßen kann, um die Richtung wiederzufinden, und um weiterzugehen. Aber: Ich käme nieauf den Trichter, meiner Tochter zu sagen, dass sienervt.

Ich kann es nicht mehr hören!

Der gestrige Tag war die reinste Freakshow.
Die Erzieherin der Seesterngruppe, vor der sogar ich ein bisschen Angst habe, die sieht das mit den persönlichen Angriffen ein wenig anders. Die bollert durch den Kindergarten und ich höre sie ab und zu schon schreien, wenn wir noch auf der Straße vor dem Eingang stehen. Dann wird es mir manchmal ganz bang und klamm, so innendrin, dass meine Tochter nun ein paar Stunden mit ihr verbringen muss.
Gestern wollte meine Tochter nicht in den Kindergarten, weil wir so einen schmusigen Morgen mit den rosa Wolken hatten, weil sie lieber bei mir bleiben wollte und weil ja vielleicht auch sie manchmal genervt ist von diesem Alltag, den man nun mal so hat.
Also klammerte sie sich auf dem Flur an mich und weinte ganz laut und wollte nicht, dass ich gehe.
„Ich kann diese Stimme nicht mehr hören!“, schnauzte es aus der Gruppe wie ein militärischer Appell und sowohl mein kleines Leben als auch ich verstummten.
Ich betrat den Gruppenraum mit einem Blutdruck von 200 und einem (wahrscheinlich) hochrotem Kopf, meine Tochter an meiner Hand, die sich hinter mir versteckte.
„Nur die leise M. ist die gute M.! Denk daran!“, tönte es uns entgegen.

What the f…k ???!?

Glaub mir, liebe Wolke, auch ich kann schnauzen.

Ich erwarte nicht, dass meine Tochter von allen geliebt und gemocht wird. Das ist im Leben so, das ist normal und das geht in Ordnung. Ich weiß auch, dass meine Tochter manchmal anstrengend und laut ist und dass man sich mal im Ton vergreifen kann.
Nur: Persönlich werden, das ist einfach schlecht, richtig doof und fördert das Selbstbewusstsein genau gar nicht. Bei niemandem. Und schon gar nicht bei einem Kind.
In meiner Welt ist es so enorm wichtig, dass man Kinder (und Menschen im Allgemeinen) annimmt wie sie eben sind. Dass man ihnen eine Rückmeldung gibt, dass sie genau so in Ordnung sind, wie sie eben sind. Ob DINGE, die sie tun, immer in Ordnung sind, das steht auf einem völlig anderen Blatt. Aber die Annahme, die finde ich, verdammt noch mal, wichtig, und niemand sollte einem Kind (im übertragenen Sinn) sagen:
„Du bist nur gut, wenn du das oder jenes machst, das mir nicht total auf die Eier geht und ich eigentlich lieber meine Zeit NICHT mit den nervtötenden Blagen hier verbringen möchte.“

Das kleine Pflänzchen Selbstbewusstsein

Poach. Da könnte ich ausrasten.
Ich habe die Weisheit nicht mit Löffeln gefressen, ich weiß auch nicht, wie das mit der Erziehung immer so richtig funktioniert. Aber ich weiß ungefähr, wie man Menschen begegnen sollte. Mit Respekt und mit einer Annahme ihrer Person. Gültig vor allem für Kinder. Und dann wird das mit dem kleinen Pflänzchen Selbstbewusstsein doch irgendwie fast von allein klappen. Denke ich.

Zucker und Pfeffer

Man lernt Liebe dadurch, dass man geliebt wird. Man lernt andere anzunehmen, wenn man selbst das Gefühl haben darf, dass man in Ordnung ist. Wie man ist.
Ja, liebe Wolke, so ist das mit dem Zucker und dem Pfeffer. Mein kleines Leben ist manchmal wirklich zuckersüß, manchmal nicht. Es gibt Leitplanken im Leben, um seine Stärken in dem verbliebenen Raum frei zu entwickeln, um sich auszuprobieren, um Ängste haben zu dürfen, um zu lachen und auch um weinen und schreien zu dürfen.
Und wenn jemand die Stimme meiner Tochter nicht mehr ertragen kann, der möge bitte weit weg gehen. Dahin, wo der Pfeffer wächst.

Auf Wiedersehen, meine Wolke!



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